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Writer's pictureDagmar Lohnes

"Nicht alle Blütenträume reifen"

eine linguistische Interpretation eines Germanisten:



Johann Wolfgang von Goethe
Johan Wolfgang von Goethe

"Das Wort Blütenträume stammt aus einer bekannten Zeile aus Goethes Gedicht ‚Prometheus‘, wo es in dem Satz "Nicht alle Blütenträume reifen" vorkommt.


Den Hymnus in freien Rhythmen verfasste der junge Dichter in seiner Sturm- und Drang-Phase Anfang der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. Das Wort bezieht sich auf Träume, die nicht alle wahr wurden, und wurde im Laufe der Zeit sprichwörtlich verwendet.


Was hat es mit dem Blütentraum auf sich? Das Wort begegnet uns tatsächlich erstmals in diesem Gedicht von Goethe. Später hat August von Platen es als erster aufgegriffen. Wann es sprichwörtlich wurde, ist nicht erforscht.

Weder "Büchmanns Geflügelte Worte" erwähnen es, noch die beiden Dudenbände "Redewendungen" oder "Zitate und Aussprüche". Immerhin verzeichnet es das Duden Universalwörterbuch unter dem Lemma Blütentraum und stellt fest: „meist in der Wendung 'nicht alle Blütenträume reifen' (= nicht alles was man anstrebt, lässt sich verwirklichen )".


Wie kommt diese Bedeutung zustande? Blütentraum ist ein metaphorisches Kompositum, wobei das erste Glied (Blüte) als Bildspender dient für das zweite, den Traum. Einfacher gesagt: Der Traum wird mit einer Blüte verglichen. Das allein sagt aber noch wenig. Der Clou dieser Wendung erschließt sich erst mit dem Verb reifen. Nicht alle Blütenträume reifen heißt – um im Bild zu bleiben – die Blüte reifte nicht zur Frucht, wie der Traum nicht zur Wirklichkeit. Der Spender des Bildes ist nicht das Wort Blüte allein, sondern die Wendung eine Blüte reift (zur Frucht).

Eine seltene, eine komplizierte Metapher, die Schöpfung eines kreativen Dichters.


Darum gilt die Wendung noch heute als ‚gehoben‘, ist nicht jedermann geläufig. Und wenn wir feststellen nicht alle Blütenträume reifen, dann geben wir dem Misserfolg, einen versöhnlichen Anstrich.


Als seien jemands viele Vorsätze ein schöner, jugendlicher Versuch gewesen, so wie die Blüte gleichsam die Jugend der späteren Frucht ist.

Gleichzeitig strahlt diese Redewendung wieder Hoffnung und Zuversicht aus."


Horst Haider Munske


Publiziert in VDS, Rundbrief, Oct 24

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg

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